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Firefly

Kurzgeschichte

Tausende Sterne funkelten in der absoluten Schwärze des Alls. Einzig das Licht der Sonne und der Mond durchbrachen das Sternenmeer. Zwischen ihnen und dem lebensfeindlichen Weltraum standen nur die alten Wände der Raumkapsel. Obwohl die Kapsel nur fünf Meter in der Länge maß, und dieser Platz durch eine abgenutzte Toilettenkabine und ein Regal mit Schubkästen zusätzlich verkleinert wurde, reisten im Inneren sieben Leute. Die vier Sträflinge saßen an den äußeren Ecken und zwischen zwei Gefangenen waren drei gepolsterte Sitze für die grau gekleideten Aufseher.
          In größer werdenden Kreisen verließen sie die Erde auf dem Weg zum lunaren Hochsicherheitsgefängnis. 
          Einer der Sträflinge, der sicher der Siebzig näher war als der sechzig, wollte mit Wissen glänzen, denn er erzählte, dass sie auf gerader Strecke den Mond verfehlen würden. Die Wärter befahlen Ruhe, doch der Einstein an Bord redete weiter, bis er einen Schlag einsteckte. Seitdem schwieg der alte Mann und von der Schläfe ausgehend färbte sich seine Haut blau. 
          Leano beachtete ihn nicht weiter. Er kannte den Gefangenen nicht, denn das erste Mal traf er ihn vor einigen Stunden beim Sträflingstransport zum Weltraumflughafen.
          Diese Aussicht, die sich durch das Fenster bot, zog ihn in ihren Bann. Sie erinnerte ihn an Glühwürmchen, die schon seit fast zwanzig Jahren ausgestorben waren.
          Schon bald würde er diesen Anblick des Sternenmeeres tagtäglich verfluchen. Doch heute, auf seinem One-Way-Trip zum Mond, wird er sich der Faszination hingeben. 
          Die Schwerkraft hatte ihn längst freigegeben, aber der mehrfach gesicherte Gurt hielt ihn unbeweglich an seinem Platz. 
          Diese Situation war ironisch. Vor neunzehn Jahren hatte er die Petition zur Errichtung des Gefängnisses voller Überzeugung unterzeichnet. Ein Ort, der die Massenmörder, Serienkiller und Terroristen für immer ihrer Freiheit beraubte. Diese Menschen verdienten es nicht, nach zwanzig Jahren wegen guter Führung entlassen zu werden, bereit, wieder Verbrechen zu begehen. Sein Vater starb kurz zuvor, war einfach aus einer Laune heraus getötet worden. Leano hatte sich nach Rache gesehnt. Fast zehn Jahre später war der Mörder auf dem Weg zum Mond gewesen. Die Todesstrafe gab es nicht mehr und er hatte gehofft, dass das Schicksal, was diese Leute dort oben erwartete, schlimmer war als der Tod.
          Bald würde Leano herausfinden, ob er seinen Willen bekommen hatte. 

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Vor vier Wochen hatten Polizisten ihn auf dem Heimweg von einem Treffen des Connection-Netzwerkes verhaftet. Es waren keine Streifenpolizisten; groß und weiß prangte SEK auf ihren schusssicheren Westen. 
          Jeden in der Stadt entsetzte der Anschlag. Die Nachrichten hatten zwei Wochen von nichts anderem berichtet. Eine Bombe, die bei der Einfahrt der Schwebebahn im Bahnhof explodierte. Dreiundachtzig Tote, mehrere hundert Verletzte. Grausam, menschenverachtend und eine Tat, die Leano nicht einmal im Traum einfallen würde. Die Polizei hatte alle »Beweise« erfunden. 
          Er gehörte unter dem Namen Firefly der Connection an, doch schon sein Vater war Mitglied gewesen. Das war keine Terrororganisation. Sie veranstalteten Demonstrationen und wiesen auf die dringend nötige Regierungsreform in den Eurostaaten hin. Die Europäer brauchten eine richtige Demokratie. Die Connection agierte auch weltweit, denn es war überall das gleiche Elend. 
          Das Gericht beschloss seine Inhaftierung außerhalb der Erde binnen zwei Stunden. Das Urteil hatte schon lange festgestanden. Es war alles nur eine medienwirksame Farce gewesen.

 

Leano entwich ein Seufzen. Aktuell konnte er nichts machen. Hier im All gab es keine Fluchtchancen. Er drehte den Kopf zur Seite, sein Blick wanderte über den schmalen Gang hinweg zu Sträfling 254, der Einstein der Kapsel. Den Namen kannte er nicht. Sie wurden mit der Nummer angesprochen. Die von Leano lautete 256. Eine weitere Ironie des Schicksals, denn am 25. Juni 2042 war dieser Irrsinn ins Rollen geraten.
          Sein Blick wanderte zu 253, der schlief. Ihn schien seine Zukunft nicht zu beunruhigen. Oder plante er etwas? Leano schätzte den Mann älter als sich selbst ein. Zumindest zeigten dessen Haare mehr Grau als Schwarz. 
          255 schien in ein Gebet vertieft zu sein. Leano hieß den Umstand willkommen. Die ganze Zeit hatte sich der Sträfling hektisch umgesehen, vor sich hingemurmelt und unaufhörlich auf seinem Sitz herumgerutscht. Leano saß unschuldig hier, trotzdem stellte er sich nicht so an. Unterwegs konnte er nichts ausrichten, aber auf dem Mond gab es sicher eine Möglichkeit zur Flucht. Bis dahin hieß es, Ruhe zu bewahren und nicht aufzufallen.
          Leano wandte den Blick von den anderen ab und betrachtete die Aussicht, die sich durch sein Fenster bot. Eine Hälfte des Mondes lag im Schatten. Sein Verstand gaukelte ihm winzige Lichtpunkte des Gefängnisses vor, denn es war zu weit entfernt, um etwas zu sehen. Sie würden noch drei Tage fliegen.
          Während er hinaussah, verschwamm die Sicht vor seinen Augen. Seit fast sechzehn Stunden war er wach. Die Startvorbereitungen und die Sträflingsübergabe hatten allein bis zum Morgengrauen angedauert. Die Müdigkeit zehrte zunehmend stärker an ihm. Die Lichtpunkte vor der Schwärze des Alls schienen zu flirren und umherzuschwirren. 
 

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* und bei allen anderen

üblichen Buchhandlungen

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Seiten: 20

eBook: 0,99 €

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