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Rituale

Spendenanthologie zugunsten von „Freunde alter Menschen e. V.“

Regenprasseln
Anne Polifka

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Ich näherte mich einer Stadt. Meterhoch wie schwarze, spitze Zähne ragten die Bauten zwischen den sanften Hügeln in die Höhe. Eckige Ornamente zierten sie. Seit einem Monat sah ich solche Überbleibsel alter Städte auf diesem Planeten. Immer wieder hoffte ich, andere Lebewesen zu finden, deren Leben aus mehr bestand als aus Fressen und Schlafen. Wesen, die kommunizieren und denken. Diese ständige Einsamkeit würde mich eher früher als später in den Wahnsinn treiben. Mit jedem Schritt hörte ich meinen Herzschlag schneller und lauter. Ein Kribbeln füllte meinen deformierten Körper aus, intensiviert durch die steigende Hoffnung. Ich erreichte eine Anhöhe und sah auf die Stadt, die von rotem Gras umringt war, eine der Pflanzen, der Trockenheit nichts anhaben kann. Das aufgeregte Herzklopfen verschwand, als ich die Verwitterung erkannte. Der schwarze Stein, aus dem die Gebäude waren, zeigte Risse, einige Dächer waren eingebrochen. Der plattgetrampelte Platz um die Stadt war komplett überwuchert.
     Ich ließ mich auf einem Stein nieder. Er hatte sich in der Sonne erwärmt. Die Erschöpfung überwog die unangenehme Hitze, die mein Sitzplatz an meinen nackten Oberschenkeln nagen ließ.
Seit der Dämmerung war ich unterwegs und die größere der zwei Sonnen hatte den Zenit gerade erst erreicht, während die kleinere ihre letzten Strahlen über das Land warf. Mit meiner linken Hand massierte ich meinen Nacken. Dank der Spalte in meiner Hand zwischen Mittel- und Ringfinger konnte ich ein viel größeres Areal erreichen. Ich war nicht für diesen Planeten gemacht. Jeden Tag zog die Schwerkraft an mir wie ein Gewicht, selbst nach über drei Monaten. Bis dahin hatte ich an Bord eines Raumschiffes gelebt. Die zu geringe Schwerkraft hatte die Menschen nach mehr als hundert Jahren anfälliger und schwächer gemacht. Deformationen und ein zu schwacher Muskelbau würden selbst einen habitablen Planeten nicht als Retter der Menschheit garantieren. Meine Hand wanderte zu dem Wasserbeutel, den ich in einer der Städte gefunden hatte. Ich trank nur einen kleinen Schluck. Es hatte schon lange nicht geregnet und die zwei Flussbetten, die ich passiert hatte, waren staubtrocken gewesen.
     Seufzend stemmte ich mich auf und nahm meinen selbstgebauten Speer aus einem stabilen Ast in die Hand. Ich musste weiter. Auch hier lebte niemand mehr. 
     Doch vielleicht hatten sie etwas zurückgelassen?
     Ich erreichte eine eingestürzte Mauer. Sie war im Gegensatz zu den Gebäuden grob gebaut. Zeugte sie von den Anfängen der Siedlung? Das hieße, die Stadt musste lange existiert haben. 
Warum war sie so verlassen wie alle anderen zuvor auch?
     Die Gebäude glichen einander; nicht nur innerhalb einer Stadt, sondern von Siedlung zu Siedlung. Der schwarze Gebäudeklotz erhob sich fensterlos in den Himmel, eine rechteckige Steinscheibe auf einer Führungsschiene schützte den Eingang. Ich stemmte mich seitlich gegen die Tür. Feiner Sand in der Schiene verursachte ein knirschendes und reibendes Geräusch, das mich erschaudern ließ. Bestmöglich wischte ich den Dreck von der Schiene weg und schob die Tür mit einem letzten Knirschen weit genug zur Seite, um ins Innere zu gelangen. Muffige Luft empfing mich. Ein bläuliches Schimmern erhellte das Haus. Es stammte von fleischigen Pflanzen, die jedes Gebäude, das ich bisher gesehen hatte, ausleuchteten. Auf den freien Wandflächen zwischen den leuchtenden Pflanzen sah ich Symbole und Bilder. Ich fuhr mit meinen Fingern über den glatten Stein. Unebenheiten zeigten, wo bald neue Leuchtpflanzen wachsen würden.
     Im Raum befanden sich Kästen, etwa halb so lang wie ich und knapp hüfthoch. Hier waren es drei, in früheren Häusern hatte ich aber auch schon sieben oder auch nur einen entdeckt.
Mit den Fingernägeln fuhr ich die Kante entlang, in der Hoffnung, den Kasten zu öffnen. 
Der Versuch war bei allen vergebens, obwohl die sie hohl klangen, wenn ich dagegen klopfte. Auf der Oberfläche waren Wesen mit gedrungenen Körpern und unzähligen Strichfingern abgebildet. Waren es Götter oder die Bewohner?
    Der schrille Ruf eines Kreischers drang durch die Tür und hallte im leeren Raum wider. Diese Kreaturen waren nur so groß wie meine beiden Hände nebeneinander, doch ihr Kreischen war so laut wie das eines Menschen. Die felllosen Tiere waren hässlich. Sie erinnerten mich an die Bilder von Ratten, Hunden und Kakteen. Die Kreischer besaßen von allem etwas. Bisher haben sie mich nie angegriffen, sondern flohen, wenn ich mich näherte. Es drohte keine Gefahr von ihnen. Seufzend verließ ich das Haus und wandte mich nach und nach den anderen Gebäuden zu. In einem Haus fand ich ein Geflecht, doch als ich es anfasste, zerfiel es. Ich hatte gehofft, neue Kleidung zu finden. Mich bedeckte nur noch meine Unterhose, die mehr Löcher als Stoff aufwies. Resigniert hing ich mir meine Tasche um, die aus einem Spannnetz der Raumkapsel bestand, und verließ die Stadt. Meine Hoffnung auf einen Fund wurde bitter enttäuscht, die Schwerkraft schien stärker an mir zu ziehen. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals. Ich würde hier niemanden antreffen. Meine Vorräte gingen zur Neige. Schon lang hatte ich keinen Bach gefunden, der Wald spendete in der seit Wochen andauernden Dürre kein wertvolles Wasser. Die Blätter der Pflanzen waren von roten und blauen Flecken überzogen. 
     Sie starben, so wie ich, wenn ich nicht bald Trinkwasser finden würde. Ich setzte meinen Weg ziellos fort.

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Seiten: 288

eBook: 5,99 €

Taschenbuch: 13,99 €

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